Was zur Hölle ist Weyhe? Geografisch gesehen: die südliche Verlängerung Bremens jenseits der Weser. Tatsächlich ist es aber einer jener zahlreichen Orte Deutschlands, in denen das Herz der Republik schlägt: Der prosperierende Mittelstand, in dem drei Viertel aller Beschäftigten und 90 Prozent aller Auszubildenden arbeiten. So ist Weyhe die Heimat eines Unternehmens, das ohne bundesweit größer von sich Reden zu machen, in der Region Außerordentliches leistet. Die Rede ist von Bormann Elektrobau.
Was einst im Jahre 1977 als gewöhnlicher Elektrobetrieb mit vier Mitarbeitern gegründet wurde, der sich in den umliegenden Haushalten vom Küchenherd bis zum Kellerlicht um alles kümmerte, durch das Strom fließt, ist heute ein Unternehmen mit 110 Angestellten im Mutterbetrieb, 40 weiteren in zwei Tochterfirmen und etlichen Leiharbeitern, die für einzelne Projekte angeheuert werden. Der Jahresumsatz lag 2020 über 14 Millionen Euro.
Der Wandel von der Wohnelektrik zu internationalen Großprojekten
Schon lange geht es Bormann Elektrobau nicht mehr um Einfamilienhäuser, sondern um Großprojekte wie Schulen, Hotels und Bürokomplexe. In der Umgebung macht der Firma so leicht keiner was vor. Und diese Umgebung reicht mittlerweile von Hannover bis zur Ostsee und von Magdeburg bis in die Niederlande. Eine beachtliche Leistung in weniger als zwei Generation – zudem in einem umkämpften Markt. Wie gelingt so etwas?
Die kurze Antwort lautet: Weil Bormann alles aus einer Hand anbietet. Wo andere Betriebe nur Lampen oder Rauchmelder installieren können, weil ihnen für mehr das Personal oder das Wissen fehlt, kann der Betrieb aus Weyhe alles anbieten, was mit Strom zu tun hat: vom einfachen Stromkabel bis zum komplexen IT-System bleibt der komplette Auftrag im Haus. So kann sich der Auftraggeber darauf verlassen, dass die Gewerke reibungslos ineinandergreifen. Das erspart ihm eine Menge Ärger und letztlich Geld.
Ein Familienbetrieb mit Blick auf die Zukunft
Die etwas längere Antwort liegt in der Firmenphilosophie und der Art der Unternehmens. Der Familienbetrieb hat von Anfang an konsequent die Zukunft in den Blick genommen. Als bei der Konkurrenz die Stundenzettel noch von Hand ausgefüllt wurden, hatte Bormann die interne Verwaltung bereits vor mehr als zehn Jahren komplett digitalisiert. Der Zukunftssinn zeig sich auch nach außen. Als die Informationstechnologie für die allermeisten noch Neuland war, bot Bormann schon umfangreiche IT-Dienstleistungen an – und hatte damit die Nase deutlich vor der Konkurrenz. Als die irgendwann nachzog, hatte das Familienunternehmen aus Weyhe seine Position längst zementiert.
Patrick von Hagen ist einer der drei Geschäftsführer der Firma und verkörpert die Firmenphilosophie bis in die Haarspitzen. Sein Lebensmotto „Du musst die Komfortzone verlassen, immer wieder“ könnte zugleich der Leitspruch seines Unternehmens sein. Wenn er sein schelmisches Grinsen aufsetzt und in seiner zugänglich-offenen Art plaudert, könnte man schnell vergessen, dass er ein ausgekochter Profi ist. Einer, der nicht locker lässt. Davon zeugt nicht zuletzt seine Karriere. Von Hagen hat im August 2002 als Lehrling bei Bormann Elektrobau angefangen – heute ist er Chef im Unternehmen.
Eigentlich wollte er zu Ausbildungsbeginn nur ein Jahr bleiben, er hatte sich als Schüler mit dem Verkauf von Gaming-Servern schon eine Selbstständigkeit aufgebaut. Doch bald fesselte ihn die Elektrotechnik, und er blieb. Seine Server-Firma verkaufte er. Weil von Hagen keiner ist, der lange still sitzen kann, schloss er 2010 die Fortbildung zum Techniker ab. Weil er tiefer in die Materie einstigen wollte. Und weil er eine bessere Verhandlungsgrundlage für die nächste Gehaltsrunde haben wollte. Faszination für die Materie und Geschäftssinn arbeiten bei ihm zusammen. Er wirkt geerdet und überaus energiegeladen zugleich – wie eine sauber angeschlossene Starkstromleitung.
Im Jahr 2014 schließt er dann seine Meisterprüfung als Elektrotechniker ab. Zwar fördert sein Betrieb Weiterbildungen, doch von Hagen lehnt dankend ab, arbeitet weiter, besucht nach Dienstschluss die Abendschule und büffelt am Wochenende. Die Kosten zahlt er aus eigener Tasche. „Weil ich rechnen kann“, sagt er und grinst. Stellt man Meister-Bafög und steuerliche Abschreibung gegen den Verdienstausfall, kommt seine Variante günstiger. „Außerdem lohnt sich das für die Verhandlung mit dem Chef“, sagt von Hagen. Prompt wird er Leiter einer neu geschaffenen Abteilung. Aber auch das reicht ihm nicht.
Drei Jahre später besteht er die Prüfung zum Betriebswirt. Mit Auszeichnung. Auch dafür hat er wieder nach Feierabend die Schulbank gedrückt, mit drei Dutzend müden Kollegen im überheizten Schulungsraum den BWL-Unterricht erduldet. Wieder auf eigene Rechnung. Spaß hat es keinen gemacht, sagt er. Aber gelohnt hat es sich. Seit 2019 sitzt der einstige Azubi in der Geschäftsleitung. Von Hagen sagt: „Ich wollte immer Verantwortung und nicht nur auf dem Bau nach Plänen arbeiten.“
Manchmal hilft ein fremdes Auge im Betrieb
Seine Kosteneffizienz passt zur Firmenphilosophie. Auf den Parkplatz des Unternehmens kommen seit jeher nur junge, gebrauchte Transporter. Der Wertverlust bei Neuwagen ist einfach zu hoch. Doch ein Betrieb wie seiner besteht nicht nur aus den großen Posten, sondern vor allem aus einer Menge kleiner Dinge wie Kabel, Schalter und Klemmen. Und die kann er unmöglich allesamt im Auge behalten. „Hier sind wir auf verlässliche Partner angewiesen“, sagt von Hagen, „Außendienstler sind bei uns immer herzlich willkommen“. Denn manche Probleme lassen sich nur mit fremden Augen erkennen.
Wie neulich, als ein Außendienstmitarbeiter von HellermannTyton vorbeikommt, sich die Werkstatt zeigen lässt, plötzlich vor den Schaltschränken stehenbleibt und einen neuen Kabelkanal vorschlägt. „Von uns wäre keiner auf die Idee gekommen, so ein Teil zu ersetzen“, sagt von Hagen, „wie viel Innovation kann man bitte von einem Kabelkanal erwarten?“ Doch das neue Teil überzeugt: Es schließt besser als das bisherige Modell von einem anderen Anbieter und ist dazu noch günstiger. Man bestellt eine Testlieferung. Die Antworten von Werkstatt und Baustelle sind eindeutig: Der neue Kanal ist ein Segen für den ansonsten ausgesprochen konservativen Schaltschrankbau. Er löst ein Problem, von dem keiner wusste, dass es eines war. „Da sind wir auf Impulse von außen angewiesen“, sagt von Hagen.
„Da sind wir auf Impulse von außen angewiesen“
Nötig sei dafür ein gutes Vertrauensverhältnis. Das gleiche gelte auch nach innen. Wenn ein Kollege Probleme habe, dann finde sich immer eine Lösung, sagt von Hagen. Man kennt sich, die Wege sind kurz. Er selbst war gerade zwei Stunden außerhaus, weil er seine Tochter zum Schwimmunterricht gebracht hat. Und so steht die elektrische Olymp-Schreibmaschine im ersten Stock auch nicht zu Dekorationszwecken auf dem Tisch, sondern weil dort eine langjährige Mitarbeiterin fix Paketaufkleber erstellt. Das geht auch ohne Smartphone und Laptop. Auch das ist Familienunternehmen.
Eine Investition in die Zukunft der Mitarbeiter lohnt sich
Betriebswirtschaftlich sinnvoll ist es auch. Denn angesichts des Fachkräftemangels lohnt sich die Investition in die Zufriedenheit der gesamten Belegschaft. Aus diesem Grund bildet Bormann Elektrobau mit rund fünf bis neun Azubis pro Jahr auch seinen eigenen Nachwuchs aus. Statt auf die Berufsschule zu vertrauen und die jungen Leute als billige Arbeitskräfte auf die Baustelle zu schicken, kümmert sich ein eigener Meister im Betrieb um die Auszubildenden. Patrick von Hagen sagt dazu: „Wir bilden unsere Leute nicht so aus wie wir es müssen, sondern wie wir sie brauchen.“
„Wir bilden unsere Leute nicht so aus wie wir es müssen, sondern wie wir sie brauchen.“
Noch heute arbeitet im Betrieb ein Meister, der schon am Gründungstag im Unternehmen war. Er hat gesehen, wie allmählich die schönen, alten VW T2-Bullis vom Firmenparkplatz verschwanden und neue Mercedes Sprinter kamen. Wenn er noch ein bisschen bleibt, wird er die E-Mobile anrollen sehen. Denn auch hier hat Bormann Elektrobau den nächsten Schritt schon fest im Blick. Man will gewappnet sein für die große Welle der Elektromobilität. Schon heute rüsten sie sich für knifflige Arbeiten an der Lade-Elektronik und den technisch wie regulatorisch aufwendigen Zwischenspeichersystemen. Auch damit dürften sie der Konkurrenz wieder mindestens eine Kabellänge voraus sein.
Im frisch gebauten zweiten Firmensitz gegenüber gibt es noch genügend leere Büros für die nächste Generation. Das Ziel ist nach wie vor Wachstum – und mit einem wie Patrick Hagen im Team gibt es dazu auch keine Alternative.